Zwischen Brandungsangeln und Café Latte
Der Fischerort Ustronie Morskie im Winter
Am Strand ist es immer noch ruhig, zumindest jetzt in der
Nebensaison – durch den Nebel blicke ich direkt auf die morgendliche Ostsee.
Erste Spaziergänger sind mit Kindern oder ihren Hunden am Wasserrand unterwegs.
Aus der neu erbauten Appartementanlage direkt an der Steilküste fasziniert der
Panoramablick auf den Strand und wirkt etwas unwirklich. Gleichzeitig ist es
schade, dass der kleine Fischerort durch diese 20 Apartmenthäuser vom Meer getrennt
wurde.
Viel wurde gebaut in den letzten zwei Jahren: Eine hölzerne Seebrücke mit Café, eine Promenade zum Strand, ein Aquapark mit Hallenbädern, Freibad und Saunen und mehrere neue Wellness- und Urlaubshotels. An der einen Ecke wartet ein 4-Sterne-Hotel auf die Eröffnung, etwas weiter im Wald findet sich schon die nächste, elegant geschwungene Baustelle: Ustronie Morskie möchte aufschließen zu den benachbarten Ostseebädern Kolberg und Mielno.
Arbeitsboot am Fischerhafen von Ustronie Morskie
Jetzt im Februar ist vom Trubel eines Seebades nichts zu spüren. Immerhin gibt es im Hotel Lambert das erste ganzjährig geöffnete Café und ein a-la-cartè-Restaurant, das zu den Besten der Region Kolberg zählt, mit einem perfekten Service und sicherlich auch mit den entsprechend hohen Preisen.
Ustronie Morskie befindet sich im Umbruch, die alte
melancholische Winteratmosphäre eines Ortes vor der Saison mischt sich mit der
zunehmenden Zahl von Gästen, die hier Erholung suchen. Die Kulisse dafür sind die
Steilküste, endlose Strände, vorbeifliegende Zugvögel, Wildgänse und Schwäne,
Mischwälder und feuchte Wiesen.
Fischer scheint es in diesem traditionellen Fischerort nicht mehr zu geben, denn
die Boote werden nicht mehr auf den Strand gezogen. Angesichts der abnehmenden
Dorschbestände, der harten Arbeit und des geringen Ertrags ist das sicherlich
verständlich.
Die neu erbauten Cafés öffnen nur von Mai bis September und neben
Lebensmittelgeschäften finden sich in der Wintersaison im ehemaligen
Henkenhagen kaum weitere Einkaufsmöglichkeiten.
Wenig wird dabei die glorreiche Geschichte des kleinen Nachbarn von Kolberg erinnert. Die historische Warmbadeanstalt zwischen dem Hotel Lambert und einem großen Spielplatz (ein altes Holzgebäude) steht leer und ist leider vergessen. Henkenhagen war ein Seebad im alten Sinne. Nach 1945 übernahm es sogar die Funktion des zerstörten Kolbergs und war bis in die sechziger Jahre ein wichtiges polnisches Kur- und Heilbad – einige ältere Sanatoriumsbauten zeugen hiervon.
Es macht Spaß durch die alten Gassen zu schlendern, vorbei an den vielen historischen Bädervillen, Pensions- und Erholungshäusern mit großen Gärten und hundert Jahre alten Kastanien. Viele dieser Häuser sind noch nicht in Schuss gebracht, doch es wird nicht mehr lange dauern. Auch nicht mehr bis der Tag kommt, an dem Ustronie Morskie im Winter zum Leben erwacht.
Bis dahin genieße ich einen alten Ort im Ruhezustand.